Spiel

Spiel ein interessantes und hochkomplexes Phänomen, welches über die gesamte Lebensspanne des Menschen auftritt. In der deutschen Sprache können mit dem Begriff Spiel zwei unterschiedliche Tätigkeiten gemeint sein: Das Spielen (play) und das Spielemachen (game).

Spielen

Spielen im Sinne von play ist eine Tätigkeit, die überall möglich ist. Der Mensch bestimmt selbst, ob er spielt oder nicht. Deshalb ist Spiel immer frei. Aus diesem Grund erübrigt sich das häufig verwendete Wort „Freispiel“, denn niemand kann zum Spielen gezwungen werden.

Spielen ist durch folgende Phänomene gekennzeichnet (Scheuerl, 1965):

1. Moment der Freiheit
Spielen ist zweckfrei und wird nur um seiner selbst willen durchgeführt. Es ist frei vom Kampf ums Dasein, abgehoben vom Ernst des Lebens und den objektiven Wert- und Zweckordnungen. Es ist ohne Verantwortung und ohne Konsequenz.

2. Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder müssen spielen. Der Spieltrieb wird nur durch die Erfordernisse des realen Lebens, durch andere Personen oder durch die Befriedigung von Grundbedürfnissen (Hunger, Müdigkeit) beendet.

3. Moment der Scheinhaftigkeit
Im Spiel ist alles möglich. Es gibt keine Bindung an die Wirklichkeit, Machtverhältnisse werden umgekehrt, Kinder können verschiedene Rollen einnehmen und sich eine „Scheinwelt“ neben der echten konstruieren.

4. Moment der Ambivalenz
Dies wird durch das Dazwischensein zwischen Sein und Realität verkörpert. Das Kind kann nur spielen, was es weiß. Es variiert dieses Wissen zwar, indem es dieses in andere Beziehungen und Zusammenhänge einordnet. Spielen ist unberechenbar und voller Spannung. Die Spannung muss in einem Gleichgewicht sein, sonst findet kein Spielen mehr statt.

5. Moment der Geschlossenheit
Spielen findet innerhalb eines geschlossenen Rahmens von Zeit, Raum, Material und einer Gruppe statt. Alle Beteiligten handeln Regeln aus, indem sie sich quasi selbst Grenzen gegenüber der Realität setzen, innerhalb derer sie aber unendlich frei sind. Werden diese Grenzen überschritten, ist das Spiel vorbei.

6. Moment der Gegenwärtigkeit
Jedes Spiel, auch wenn es an Regeln etc. gebunden ist, verläuft anders. Es bringt eigene Überraschungen mit sich. Es wird improvisiert. Spiel ist aus der Kontinuität der Zeit herausgehoben, weil es nur im Hier und Jetzt Erfüllung findet.

Kinder können an allen Orten spielen. Auch draußen spielen Kinder Rollenspiele (früher z.B. Räuber und Gendarm), konstruieren, bauen Burgen im Sand, Hütten im Wald oder balancieren über Kanten und Bäume. Durch Spielen vervollkommnen Kinder ihre körperlichen, sozialen und geistigen Fähigkeiten und eignen sich die grundlegenden Regeln unserer Kultur an.

Erwachsene kommen in kindlichen Spielen vor, wenn sie von den Kindern selbst zum Mitspielen aufgefordert werden. Ergreifen die Erwachsenen die Aktivität, entscheidet das Kind, ob es weiterspielt oder das Spiel abbricht. Ansonsten findet Spielen unter Kindern statt, als Möglichkeit des sozialen Lernens unter Peers. Sind Kinder unter sich, Gleiche unter Gleichen, müssen sie, um Spielen zu können, in der Gruppe alles selbst tun: Regeln aushandeln, Spielinhalte besprechen, planen, spielen und das Spielen reflektieren.

Spielemachen

Spielemachen, im Sinne von game, hat eine grundlegende Bedeutung für die Spielentwicklung. Der Spieltrieb ist zwar angeboren. Doch Kinder brauchen ihre Eltern, um ihn zu aktivieren. Schon vom ersten Lebenstag an machen Väter und Mütter mit ihren Kindern Spiele, z.B. indem sie mit ihnen in einer Babysprache reden. In diesen Situationen erfassen Eltern intuitiv und einfühlsam den mentalen Zustand des Kindes und geben ihre Kommentare in einem spielerischen Modus ab. Schon das ganz kleine Kind merkt, dass der mentale Zustand der Eltern anders ist als sein eigener, dass sie spielen.

Spiele sind etwas fest Umschriebenes, mit einem Bestimmungswort davor, z.B. Schachspiel. Diese konkrete Bestimmung definiert den Spielablauf vorweg und auch das Ziel, meistens das Gewinnen. Das Maß an subjektiver Freiheit ist durch die jeweils verbindlichen, überall geltenden Regeln, z.B. beim Fußball, eingeschränkter als beim Rollenspiel. Der Anteil an spielerischer Aktivität kann klein, groß oder überhaupt nicht vorhanden sein. Damit Kinder Spiele lernen können, brauchen sie ältere Kinder oder Erwachsene, die ihnen die jeweiligen Spielregeln vermitteln, das Spiel überwachen und auf Regeleinhaltung achten.

Sowohl Spielen, als auch das Spielemachen sind Aktivitäten, die am besten draußen mit anderen Kindern vor sich gehen, z.B. Verstecken, Fangen oder Fußball. Dafür brauchen Kinder auch unbeobachtete Orte, tolerante Erwachsene, die Kindern und ihren (manchmal lärmenden) Aktivitäten freundlich und aufgeschlossen gegenüberstehen. Vor allem brauchen sie (Frei)Zeit, damit sie überhaupt spielen können, in denen sie nicht mit scheinbar „wichtigeren“ Aktivitäten, wie Hausaufgaben, belastet sind.

Autorin: Ina Schenker, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Evangelischen Hochschule Dresden

Quellen

Caillois, R. 1958: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch. München/Wien

Elkonin, D. B. 2010: Psychologie des Spiels. ICHS. Band 34. Berlin

Fonagy/ Gergely /Jurist/Target 2006: Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. 2. Auflage. Stuttgart

Kreuzer, K.-J. (Hrsg.)1983: Handbuch der Spielpädagogik, Band 2 und 4. Düsseldorf

Schäfer, G.E. 1989: Spielphantasie und Spielumwelt. Weinheim/München

Scheuerl, H. 1965: Das Spiel. 4./5. Auflage. Weinheim

Sutton-Smith, B.1978: Die Dialektik des Spiels. Schorndorf

Oerter, R. 2011: Psychologie des Spiels. 2. Auflage. Weinheim/Basel

Wygotski, Lew 1933/1980: Das Spiel und seine Bedeutung in der psychischen Entwicklung des Kindes. In: Elkonin, Daniil (Hrsg): Psychologie des Spiels. Köln: Pahl-Rugenstein. S. 441–465.

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